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Sonntag, 3. Oktober 2010

MALCOLM ROTIERT. Über Synchronsprecher und bunte Hosen

"Nigger, sag nie wieder in deinem Leben irgendwas gegen meine Mutter!" sagte Denzel Washington und schlug dem anderen Schauspieler die Whiskyflasche aus Zuckerglas über den Schädel. Denzel darf das auch. Sowohl das eine, als auch das andere. Zumindest im Film und besonders wenn er den jungen Malcolm X portraitiert. 
So, nun stelle man sich vor Malcolm X würde von einem weißen Schauspieler gespielt, der im ersten Drittel des Films mit N-Wörtern um sich wirft, aber später mit Inbrunst die Rechte Schwarzer US Amerikaner verteidigt. Ganz schön irritierend, auch wenn es nur Schauspielkunst ist. Zumal mir leicht übel wird bei dem Gedanken, wie sich dieser Schauspieler so in seine Rolle einfügen würde. Säße er in seinem Wohnwagen am Set, würde er den Satz "Nigger,.." so lange vor dem Spiegel üben, bis er sich selbst vorkäme wie Detroit Red in den vierziger Jahren? Würde er Dialoge improvisieren und voller künstlerischer Ekstase darüber schwadronieren, wie es sich denn so anfühlt, "Schwarz und unterpriviligiert" zu sein?

Warum ich das erzähle? Mein erster Satz war gelogen. Gesagt hat es nicht Denzel, sondern der deutsche Synchronsprecher Randolf Kronberg. Kronberg ist 2007 verstorben und ich habe keine Ahnung, wie er sich auf seine Rolle vorbereitet hat. Ich gaube, Spike Lee weiß gar nicht, dass seine Filme in Deutschland synchronisiert werden. Nein, ich glaube, weder Spike Lee noch Alex Haley, der das Drehbuch geschrieben hat, noch Malcolm X himself hätten Interesse daran, dass in Deutschland weiße Synchronsprecher Sätze wie "Nigger, sag nie wieder in deinem Leben irgendwas gegen meine Mutter!" ins Mikrofon fluchen und Afrodeutschland gebannt vor den Bildschirmen mitfiebert, als predige Malik Shabazz persönlich. Gut, es ist vielleicht etwas ideologisch, aber - Verdammt, es geht um eine Ikone der Schwarzen Menschenrechtsbewegung; um Selbstbennenung und Befreiung! Wie wär's denn mal mit etwas Fingerspitzengefühl?

Ich erlaube mir mal, im Internet die Hosen runterzulassen. Mit 13 Jahren war mein absolutes Idol Der Prinz von Bel-Air. Meine Hosen waren bunte Ein-Mann-Zelte, meine Schirm-Mütze saß schief auf dem Kopf und wenn ich gut gelaunt war dann hab in "Slang" gesprochen. Und zwar in der selben quietschenden Tonlage eines Will Smiths, Eddie Murphys oder Theo Huxtables (lang lebe die Cosby Show!). Ich habe wahrscheinlich Sachen gesagt, wie "Boah, total verschärft!" oder... mir fällt kein blödsinniger Ausdruck mehr ein, aber Du weißt, was ich meine. Das war mein Schwarzes Deutsch; quasi Teil meiner Selbstfindung. Enorm wichtig in dem Alter. Das absolut perfide an der Sache ist aber: Das waren ja gar nicht Will Smith etc, die so sprachen, sondern Jan Odle, Leon Boden und eben besagter Randolf Kronberg. Angela Bassett war Anke Rietzenstein und die Ausdrucksweise, bzw. die deutsche Übersetzung von Ebonics, afrikanisch-amerikanischer Mundart  - war ausnahmslos erfunden. Ein Scherz weißer Synchronübersetzer. "Was kann Will denn heute sagen? - Lassen wir ihn doch mal was total Beklopptes sagen."

Mittlerweile passen meine Hosen, meine Mützen sitzen gerade und amerikanische Filme gucke ich grundsätzlich im Orginalton (und Malcolm X erst recht). Meist zum Leid meiner Mitbewohner oder Freunde, denen es zu anstrengend ist, einen ganzen Film auf Englisch zu sehen. Deutsch-synchronisierte Filme sind meist klitzekleine rassistische Arsendosen und irgendwann fühlen wir uns geborgen und sicher und kreischen: "Yo Baby, yo Baby, yo! Ey, hab ich denn die kranke Fernbedienung auf dem Scheißhaus gelassen? Wow!!Alter, Ich bin ja total abgefreakt drauf!" ...und Malcolm rotiert.

Ich bin kein Filmwissenschaftler, aber DU vielleicht. Ich würde mich freuen, wenn Du dieses Phänomen wissenschaftlich auseinandernehmen könntest.


Die Stimmen:


Jan Odle (* 1964, eigentlich Ian Kupferberg-Odle) ist ein US-amerikanischer, deutschsprachiger Synchronsprecher und Regisseur.
Odle übernahm als Synchronsprecher die deutsche Stimme vieler bekannter Schauspieler, darunter Will Smith in den meisten seiner Filme und der Serie Der Prinz von Bel Air.


Randolf Kronberg (* 23. September 1942 in Breslau; † 2. März 2007 in München; eigentlich Randolf Schmitt) war ein deutscher Schauspieler und Synchronsprecher. Zuletzt lebte er in München. Einem breiten Publikum ist Kronberg als die deutsche Stimme von Eddie Murphy bekannt geworden.


(Bild unter www.synchronkartei.de)



Denzel Washingtons deutscher Synchronsprecher ist Leon Boden. In Malcolm X wurde er von Randolf Kronberg synchronisiert.

(Bild unter http://extremniki.de)

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