Donnerstag, 29. März 2012

Trayvon Martin und die Herren von der Bundespolizei


Da ist was... das ist seltsam. Soweit hergeholt kann es nicht sein. Darf ich ausführen? Die Fotos kapuzentragender Schwarzer Politiker, Musiker und Celebrities in Hoodies sind bewegend. Natürlich sind sie das. Da wurde ein 17-jähriger Junge von einem übereifrigen Neighborhood Watch-Captain erschossen, weil dieser den Teenager für kriminell hielt. Dass dieser nur zur Halbzeitpause schnell Süßigkeiten und Eistee gekauft hatte, macht das ganze so unsagbar bitter, dass selbst Präsident Obama dazu Stellung bezieht.
Nun geht drüben ein echter Ruck durch die Gesellschaft. Auch Mainstream Talkshows greifen verspätet das Thema auf. Es scheint klar zu sein, dass es nicht okay ist und nicht sein darf, dass Menschen, ausschließlich aufgrund ihrer Hautfarbe und Kleidung als potentiell kriminell eingestuft werden. Trayvon Martin (und unzählige Namenlose) sind die traurigen Beispiele dieses rassistisch-motivierten Phantasmas. Republikaner, Demokraten, alle scheinen sich dabei einig zu sein. 
Und dann kommt Deutschland.
Als ob wir uns alle in einem zusammenhangslosen Vakuum befinden, befindet das Verwaltungsgericht Koblenz genau diese Einschätzung für zulässig und für den Dienst der Bundespolizei unabdingbar. Und zwar im Kampf gegen das "Illegale". Ist der/die Bahnreisende Schwarz oder auch nur vom Aussehen her nicht der "deutschen Kultur" zugehörig, dann soll es legitim sein sie/ihn stichprobenartig auszusondern, um sein "Deutschsein" zu überprüfen. Ist sie/er durch wundersame Fügung des Schicksals tatsächlich deutsche_r Staatsbürger_in, folgt der obligatorische Anruf in der Zentrale, um sicherzugehen, dass hier nicht noch ein offener Haftbefehl aussteht. An und für sich ist dieses Prozedere nichts neues. Wir erleben's ja nun selbst zu häufig, als dass wir's 'Zufall' nennen können. Neu ist allerdings, dass dies, was bisher von Polizei und Innenministerium vehement geleugnet wurde, vor Gericht von Beamten als Standardvorgehensweise beschrieben wurde.
Was hat Trayvon Martin damit zu tun?
Exakt die Einschätzung, die Trayvon Martin das Leben kostete, wird in Deutschland richterlich abgesegnet - die Kriminalisierung des Schwarzen Subjekts, wahlweise jeglichen Subjekts of color. Wir befinden uns eben nicht in einem soziopolitischen Vakuum. So groß ist die Welt nicht mehr. Wir, als Gesellschaft haben eine Verantwortung zu tragen, uns zu entwickeln, uns zu bessern und - platt gesagt - die Welt zu einem faireren, gerechteren Ort zu machen. Dies ist der Impuls und die Legitimation unseres Handelns, abgesehen von der Selbsterhaltung. Ein Bedauern der "menschenverachtenden Zustände in Übersee", gepaart mit dem Abnicken diskriminierender Rasterfahndung im eigenen Land, ist - ich bedauere das pathetische Grummeln vom Olymp - Urin auf den Gräbern der Menschen, die für eine bessere Welt kämpften oder in einer schlechteren ums Leben kamen. 
Vor noch nicht langer Zeit wurde uns gesagt, wir seien Deutschland. Das ist toll und doch manchmal ein fragwürdiges Zugeständnis. Bei all der Beweihräucherung demokratischer Grundwerte, im Angesicht des latenten Misstrauens gegenüber den eigenen Bürgern und Gästen, bleibt es doch, was es war. Ein Land mit einem schizophrenen Verhältnis zum eigenen Spiegelbild. Daran könnten wir doch mal arbeiten.

Dienstag, 27. März 2012

Ein kleines bisschen illegal und nicht ganz so deutsch


"Bundespolizei! Von Ihnen hätten wir gerne den Pass gesehen! Sprechen Sie deutsch? Do you have identification?" Es rüttelt an meinem Sitzplatz. Aus dem Schlaf und Kontext gerissene Fetzen wollen sich nicht erklären lassen. Wer sind diese Männer? Sind wir schon in Berlin? Und warum sprechen sie jetzt englisch? Ich schweige. Identification, was die Herren wollen, findet sich nicht im luftleeren Raum. Es ist ein abstraktes Konstrukt, in diesem Moment dargestellt durch eine gezackte Denkblase mit dem Wort "Hä?" Trockene Spucke verklebt meine Mundwinkel. Wer ich bin? Ich bin "Hä?", das aufgescheuchte, schlappohrige Nagetier im Angesicht höherer Mathematik. Später und einen Raststättenkaffee wacher versteh ich, die seltsamen Herren wollen den genauen Verlauf  einer neun-stelligen Nummer, welche auf meinem Perso steht und ich nicht auswendig weiß. Doch in diesem Moment blicken meine schlaftrunkene Karnickelaugen auf Hemd, Gürtelschnalle und Accessoires und finden keinen Bezugspunkt für die Frage. 
"YOUR PASSPORT! Papiere!" Was die Herren wollen kann unmöglich meine Angelegenheit sein. Wir sind  in Deutschland. Haben diese zwei schnurrbärtigen Männer alle anderen 57 Insassen des Reisebusses befragt, bevor sie zu mir kamen? "Nein. Wir fangen bei Ihnen an."  Und erstaunlicherweise hören sie auch bei mir schon auf. Nicht allerdings bevor sie nicht ein Mal durch die Reihen blicken, um sich zu vergewissern, dass auch alle anderen deutsch genug ausschauen. Meine größte geistige Leistung nach meinem unfreiwillig unterbrochenen Nickerchen ist es, aufzuspringen und mich sichtbar für alle Mitreisenden auf Augenhöhe der Beamten zu stellen. Ein Karnickel konfrontiert mit Algebra und Marmorkuchen. "Und warum nur ich???...Hä?" (ja, eine Glanzleitung an Zivilcourage...). "Verdachtsunabhängige Kontrollen nach polizeiinternen Kriterien," brummelt es. Kriterien, welche mir zwar schon einige Momente später peinlich transparent scheinen, doch seit heute, dank des Verwaltungsgerichts Koblenz unmissverständlich durchs Netz geistern: Die dürfen das, weil ich für die nicht deutsch genug aussehe;. dementsprechend potentiell illegal - in jeglicher Form. Trotz Staatsangehörigkeit seit Geburt und so... Draufgeschissen!

Beamte der Bundespolizei dürfen Reisende jedenfalls auf Bahnstrecken, die Ausländern zur unerlaubten Einreise oder zu Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz dienen, verdachtsunabhängig kontrollieren. Es ist ihnen bei Stichprobenkontrollen nicht verwehrt, die Auswahl der anzusprechenden Personen auch nach dem äußeren Erscheinungsbild vorzunehmen.
(Verwaltungsgericht Koblenz, Urteil vom 28. Februar 2012, 5 K 1026/11.KO)

Und Ja, ganz genau, das bedeutet inklusive der Hautfarbe der kontrollierten Personen. Was mir in einem Reisebus auf einem Autobahnrastplatz bei Hof passierte ist kein Einzelfall, sondern Alltag und ich will dieses nicht wahrhaben. Das Verwaltungsgericht spricht  anscheinend auch über Busreisen. Anderswo heißt dieses Prozedere "racial profiling" und rangiert zwischen moralisch fragwürdig und rechtswidrig - hier in Deutschland "sollen wir uns da aber nicht so anstellen" , wie mir gesagt wurde. Schließlich ist ja jeder dann und wann mal einen kleines bisschen illegal.
Ich frage mich, wie das Gericht entscheiden würde, ginge es um berufstätige Frauen im Pendelverkehr - weiß und blond -  die willkürlich polizeilich kontrolliert würden, nur um sicherzustellen, dass es sich nicht um tschechische Prostituierte ohne Arbeitserlaubnis handelt … food for thought, ne?
Nein, ich weiß nicht, was wir dagegen tun können; ob es einen brodelnden Shitstorm gegen das Verwaltungsgericht oder die Landes- oder die Bundesregierung geben wird; ob es hilft,  die Queen um Asyl zu bitten, aber - um mal ein Zitat einzuwerfen -YOU HAVE GOT TO GET MAD!!! YOU'VE GOT TO SAY "I'M A HUMAN BEING, GODAMMIT! MY LIFE HAS VALUE!" Es darf nicht staatlich tolerierte Polizeipraxis sein, Menschen aufgrund ihres Aussehens als "potentiell illegal" und kriminell einzustufen,und diese präventiv so zu behandeln. Es darf nicht! Nicht in diesem Land; nicht nirgendwo!

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