Dienstag, 27. März 2012

Ein kleines bisschen illegal und nicht ganz so deutsch


"Bundespolizei! Von Ihnen hätten wir gerne den Pass gesehen! Sprechen Sie deutsch? Do you have identification?" Es rüttelt an meinem Sitzplatz. Aus dem Schlaf und Kontext gerissene Fetzen wollen sich nicht erklären lassen. Wer sind diese Männer? Sind wir schon in Berlin? Und warum sprechen sie jetzt englisch? Ich schweige. Identification, was die Herren wollen, findet sich nicht im luftleeren Raum. Es ist ein abstraktes Konstrukt, in diesem Moment dargestellt durch eine gezackte Denkblase mit dem Wort "Hä?" Trockene Spucke verklebt meine Mundwinkel. Wer ich bin? Ich bin "Hä?", das aufgescheuchte, schlappohrige Nagetier im Angesicht höherer Mathematik. Später und einen Raststättenkaffee wacher versteh ich, die seltsamen Herren wollen den genauen Verlauf  einer neun-stelligen Nummer, welche auf meinem Perso steht und ich nicht auswendig weiß. Doch in diesem Moment blicken meine schlaftrunkene Karnickelaugen auf Hemd, Gürtelschnalle und Accessoires und finden keinen Bezugspunkt für die Frage. 
"YOUR PASSPORT! Papiere!" Was die Herren wollen kann unmöglich meine Angelegenheit sein. Wir sind  in Deutschland. Haben diese zwei schnurrbärtigen Männer alle anderen 57 Insassen des Reisebusses befragt, bevor sie zu mir kamen? "Nein. Wir fangen bei Ihnen an."  Und erstaunlicherweise hören sie auch bei mir schon auf. Nicht allerdings bevor sie nicht ein Mal durch die Reihen blicken, um sich zu vergewissern, dass auch alle anderen deutsch genug ausschauen. Meine größte geistige Leistung nach meinem unfreiwillig unterbrochenen Nickerchen ist es, aufzuspringen und mich sichtbar für alle Mitreisenden auf Augenhöhe der Beamten zu stellen. Ein Karnickel konfrontiert mit Algebra und Marmorkuchen. "Und warum nur ich???...Hä?" (ja, eine Glanzleitung an Zivilcourage...). "Verdachtsunabhängige Kontrollen nach polizeiinternen Kriterien," brummelt es. Kriterien, welche mir zwar schon einige Momente später peinlich transparent scheinen, doch seit heute, dank des Verwaltungsgerichts Koblenz unmissverständlich durchs Netz geistern: Die dürfen das, weil ich für die nicht deutsch genug aussehe;. dementsprechend potentiell illegal - in jeglicher Form. Trotz Staatsangehörigkeit seit Geburt und so... Draufgeschissen!

Beamte der Bundespolizei dürfen Reisende jedenfalls auf Bahnstrecken, die Ausländern zur unerlaubten Einreise oder zu Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz dienen, verdachtsunabhängig kontrollieren. Es ist ihnen bei Stichprobenkontrollen nicht verwehrt, die Auswahl der anzusprechenden Personen auch nach dem äußeren Erscheinungsbild vorzunehmen.
(Verwaltungsgericht Koblenz, Urteil vom 28. Februar 2012, 5 K 1026/11.KO)

Und Ja, ganz genau, das bedeutet inklusive der Hautfarbe der kontrollierten Personen. Was mir in einem Reisebus auf einem Autobahnrastplatz bei Hof passierte ist kein Einzelfall, sondern Alltag und ich will dieses nicht wahrhaben. Das Verwaltungsgericht spricht  anscheinend auch über Busreisen. Anderswo heißt dieses Prozedere "racial profiling" und rangiert zwischen moralisch fragwürdig und rechtswidrig - hier in Deutschland "sollen wir uns da aber nicht so anstellen" , wie mir gesagt wurde. Schließlich ist ja jeder dann und wann mal einen kleines bisschen illegal.
Ich frage mich, wie das Gericht entscheiden würde, ginge es um berufstätige Frauen im Pendelverkehr - weiß und blond -  die willkürlich polizeilich kontrolliert würden, nur um sicherzustellen, dass es sich nicht um tschechische Prostituierte ohne Arbeitserlaubnis handelt … food for thought, ne?
Nein, ich weiß nicht, was wir dagegen tun können; ob es einen brodelnden Shitstorm gegen das Verwaltungsgericht oder die Landes- oder die Bundesregierung geben wird; ob es hilft,  die Queen um Asyl zu bitten, aber - um mal ein Zitat einzuwerfen -YOU HAVE GOT TO GET MAD!!! YOU'VE GOT TO SAY "I'M A HUMAN BEING, GODAMMIT! MY LIFE HAS VALUE!" Es darf nicht staatlich tolerierte Polizeipraxis sein, Menschen aufgrund ihres Aussehens als "potentiell illegal" und kriminell einzustufen,und diese präventiv so zu behandeln. Es darf nicht! Nicht in diesem Land; nicht nirgendwo!

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