Montag, 1. November 2010

Bayreuther Mohrenwäsche


"Wilma, hol die Wurzelbürste!"(Ja, ich weiß! Ich möchte selber würgen!)
Kinder, ich möchte Euch eine Geschichte erzählen:
Es begab sich im Jahr 1865, dass ein afrikanischer Diplomat den weiten Weg nach Mitteleuropa antrat. Nein, ich weiß nicht aus welchem Land genau. Und andere Erzähler sagen auch, er wäre auf dem Jahrmarkt aufgetreten. Wie dem auch sei; diesen Diplomaten oder Artisten verschlug es nun auf wundersame Weise ins markgräfliche Bayreuth des 19. Jahrhunderts. Dort angekommen wurde er von den hellhäutigen eingeborenen Bauern und Händlern beäugt, als wäre er ein seltenes Tier. Das Raunen in der Masse schwoll an, bis einer rief: "Der hat sich doch nur angemalt!". Ich denke, an diesem Punkt hätte sich unser Reisender gewünscht, er wäre lieber nach, sagen wir mal London gegangen. Denn - schwupps - warf sich der Mob der hiesigen Landbevölkerung auf ihn und zerrte ihn durch die matschigen Gassen bis zum bayreuther Mühlbach, in den sie ihn hineinwarfen. Einem einheimischen Ordnungshüter wurde die Aufgabe angetragen den Reisenden einzuseifen und mit Hilfe der Wurzelbürste den vermeintlichen Ruß von der Haut zu schrubben. Zum Erstaunen der Anwesenden ließ sich der Mann einfach nicht so hell waschen, wie die schaulustige Meute es gerne gehabt hätte. Als diese einsehen musste, dass dieser fremde Reisende gar nicht so blaß war wie sie selbst, liessen sie von ihm ab. 
Die Bewohner Bayreuths wurden von nun an von umliegenden Dorfgesellschaften spöttisch "die Mohrenwäscher" genannt. Sie schworen sich in Zukunft, Fremden gegenüber, sehr viel aufgeschlossener zu sein. Und weil der gemeine Bayreuther über ein natürliches, frohes Gemüt verfügt, fühlte er sich von den Spottrufen der Nachbarn nicht im Geringsten verulkt und gedachte von nun an diesem Spektakel und der daraus gewonnenen Erkenntnis, indem er dem Fremden einige bedeutende Kultstätten widmete. Sogar ein regionales alkoholisches Getränk und die hiesige Karnevalstruppe erinnert an diesen trotteligen Fauxpas der Einheimischen.


So prangt heute das Konterfei des Reisenden zum Beispiel an der Fassade  der ältesten Apotheke der Ortschaft: der "Mohrenapotheke" Und viele ... äh,vermeintliche Freunde von ihm sind da auch abgebildet, mit Nasenring oder turbantragend, brustfrei, in dienender Haltung, in Interieur und den Auslagen, in Porzellan und Tropenholz; ...viele exotisierende Projektionsflächen gefühlter europäischer Überlegenheit.

Genau, die Apotheke. Dort geht der moderne Bayreuther nämlich sein Aspirin holen, wenn er in der Nacht zuvor in der "Mohrenstube" zuviel "Mohrenbräu" getrunken hat, nachdem er im Fastnachtszug der "Bayreuther Mohrenwäscher e.V. "(gegründet 2006!) womöglich als "Mohr" verkleidet durch die Straßen gestolpert ist.

Auszüge aus "Afrika und die deutsche Sprache" von S. Arndt:
- "M." ist die älteste deutsche Bezeichnung für Schwarze Menschen. In dem Wort steckt das griechische "moros", das "töricht", "einfältig", "dumm" und auch "gottlos" bedeutet, und das lateinische "maurus", welches für "schwarz", dunkel", bzw. "afrikanisch" steht. Daraus wurde althochdeutsch "mor" und schließlich "M." abgeleitet. (S.168)
- Von Anfang an war dieser Begriff negativ konnotiert, was maßgeblich auf Aversionen gegenüber Nicht-Christ/inn/en - und in Spanien speziell gegenüber den islamiscshen Gegnern des Christentums zurückzuführen ist. (ebd.)

Auszüge aus "Das M-Wort" von Ulrike Hamann, erschienen in "Rassismus auf gut Deutsch":
- Mit dem Begriff M. ("Mohr") bezeichne(te)n 'weiße' Menschen im 17., 18., 19. und 20. Jh. Schwarze Menschen, die überwiegend als Sklav_innen des deutschen Adels und zunehmend auch des Bürgertums in den deutschen Staaten lebten. (S.146)
-Betr."Nostalgisches Design historischer Motive":  Die Nostalgie betrifft bestimmte koloniale Erinnerungen, deren Gehalt die Fantasie des Bedientwerdens 'weißer' durch Schwarze Menschen ist. Bedientwerden stellte ein Statussymbol von Überlegenheit dar, die kolonial mit 'Weißsein' verknüpft wurde. Der Verlust dieser Überlegenheit wird hier als "nostalgisch" unter Wiederaufrufen des "M.-Bildes symbolisch erinnert.(S.148)


So, Kinder. Das war die Geschichte des afrikanischen Diplomaten und des ersten dokumentierten rassistischen Übergriffs Oberfrankens. Und die Erwachsenen frage ich nun:  Was können wir tun?

Welch ungeahnte Möglichkeit für kräftig Remmidemmi! Doch was nun? Erzürnte Briefe schreiben; die nichtvorhandene linke Szene Bayreuths zu Boykotten und Großdemonstrationen auffordern; sich wundern, warum das seit 1975 ansäßige Institut der Afrikawissenschaften nicht schon lange ein Symposium zu diesem Thema gehalten hat? Farbbeutel füllen? Autos anzünden? Liebe Erwachsene, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass antirassistische Diskurse in der Provinz zu Staub zerkrümeln, als hätte es sie nie gegeben. Ich weiß weiter, dass Bayreuth so traditionell konservativ ist und diese Geschichte so tief im tradionellen Gedächnis der Stadt liegt, dass die/der progressive Aktivist_in bestenfalls belächelt wird.
Vorschläge und grandiose Ideen bitte auf der Kommentar-Ecke posten oder mir zu Facebook schicken.

Grandiose Idee #1: Performance
(foto: www.iwalewa.uni-bayreuth.de)
I like!!! Thematisch gut passt die Austellung Afro Sat I von Daniel Kojo und Philipp Metz, die das Bayreuther Iwalewa-Haus im Sommer 2010 zeigte. Eine schöne Sache. Ausgerechnet in der Stadt des "Mohrenwäscher"-Kults - wahrscheinlich aber unbeabsichtigt. Wenn ich mal so frei sein darf, das Iwalewa-Haus zu zitieren:
"Philip Metz befragt in seinen Videoarbeiten, Fotoserien und Performances häufig kulturelle Stereotype, indem er deren Wirkungen in einem neuen, ungewohnten Rahmen untersucht. So ist die Arbeit „Of mimicry“ Ergebnis einer mehrtägigen Performance in Dakar. Der Künstler trat dort als „Afrikaner“ in einem aus Deutschland importierten Karnevalskostüm auf, dessen visuelle Elemente in Dakar lediglich als fremd und albern, in keiner Weise jedoch als essentielle Bestandteile der eigenen Kultur verstanden wurden.(www.iwalewa.uni-bayreuth.de)"

Grande! Ich wünschte, der Karnevalsverein hätte die Ausstellung besucht. Dem Rest Oberfrankens hätte es sicherlich auch nicht geschadet.


Fotos der Apotheke, Plakat"Mohrenwäscher": Privat . Fotos Metz,Kojo: www.iwalewa.uni-bayreuth.de

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1 Kommentar:

  1. Hey Philipp,

    danke für deinen wunderbaren Text und die Bilder.
    Nur erstmal eins zu dem Thema: "Willkommen in Bayern!"

    Ich leben in Nürnberg und eine Mohrenapotheke gehört in fränkisch / bayerischen Orten zum Stadtbild...

    Leider, leider, leider!

    Richtig krass finde ich dem Faschingsumzug. Das kann nicht denen ihr ernst sein?!

    :-//

    LG, Anne

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